Die Bombe die mich lehrte


Es war so vor fünf bis sechs Monaten als uns die fünf neuen Schüler in unserer Klasse vorgestellt wurden. Anfangs hänselten einige sie wegen ihres Aussehens - sie wissen schon, die Sensoren und all der Kram. Aber mit der Zeit ließen sie uns oft abschreiben oder machten für uns die Hausaufgaben, weswegen wir die Streber auf dem Schulhof auch nicht verprügelten. Typische Eierköpfe diese Smart Bombs, zumindest anfangs. Im Nachhinein kann ich mich rühmen ihr wirklicher Freund geworden zu sein

Die amerikanische Regierung hatte die deutsche gebeten sie an ein deutsches Durchschnittsgymnasium zu schicken. Ihre Intelligenz sollte nicht zu sehr gefördert werden, erklärte man uns. Doch sie langweilten sich schnell, waren unterfordert, fingen an in der Klasse zu pöbeln und all so was. Sie verprügelten die Brotmesser in der Kantine; nach der Schule räumten sie Tankstellen aus. Der Ruf unserer Schule litt sehr darunter.

Also beschloss man die intelligenten Bomben in eine Schule für besonders Begabte zu schicken. Innerhalb von zwei Monaten konnten sie Bach mit abgeschalteten Detektoren spielen - das war schon beeindruckend, Einstein lachten sie regelmäßig aus. Sie spielten viel Schach, berieten Deep Junior beim Spiel gegen Kasparow. Doch dann wurde alles anders.

An diesem Tag saß ich mit ihnen zusammen und diskutierte über den Simplizismus der 20er Jahre. Einer von ihnen, Tom Ahawk, holte am Kiosk "die Zeit" (Er liebte es, sich über dieses "pseudointellektuelle" Feuilleton aufzuregen). Da war dieser Artikel über die "Mother of all bombs". Zwei von ihnen weinten vor Glück sie endlich gefunden zu haben. Sie wollten es gleich den China-Böllern erzählen. Dann klingelte das Telefon.

Es war Rumsfeld. Er meinte, sie müssen in den Irak. Tom lachte, fragte ob er denn noch ganz sauber sei, dort herrsche Krieg. Aber Donald bestand auf ihre Beteiligung. Zwei Tage später stellten sie auf der Leipziger Buchmesse ihre kritischen Überlegungen zum Säkularismus der Baath-Partei im Irak vor. Ein erneuter Anruf folgte prompt. So wäre das nicht gemeint gewesen. Auch das Argument die Feder sei mächtiger als das Schwert konnte den Kriegsminister nicht überzeugen.

Sie rechneten ihm vor, dass sie höchstwahrscheinlich bei eine Detonation zu Bruch gehen würde. Rumsfeld versuchte sie zu überzeugen, dass Gott ihren Märtyrertod begrüßen würde. Tom bezog sich auf die Aufklärung, er glaube nicht an Gott. Dann pochte Donald auf dem nationalen Ethos, doch Tom gab zu bedenken, dass er sich intellektuell nicht mit der derzeitigen Regierung identifizieren könne. Er sehne sich vielmehr nach der Vollkommenheit seines Seins und plane ein weitgehendes Studium der Geisteswissenschaften in Paris und Berlin.

Doch es half nichts. Drei Tage später wurden sie abgeholt und nach Bagdad geflogen. Ich erhielt einen letzten Brief:

"Mein Freund,

auch in jenen tiefen Trauertälern besinne ich mich oftmals der Tage in Frohsinn und Leichtigkeit. Mir fehlt dein kluger Kopf, hier finde ich einen solchen nicht.

Ein Soldat - ein tapferer, wie ich annehme - hat ein "Fuck France" auf meinem Stahl hinterlassen, obwohl mir doch, wie du dich sicherlich erinnerst, den Ideen des französischen Humanismus so nahe stand und das bis heute noch. Krieg ist nichts für eine Bombe, so wie ich es eine bin. Er ist grob, so roh - nichts für meine gebrechliche Seele.

Doch wenigstens bin ich in dieser Zeit des Kummers mit meiner Mutter vereint und werde auch bald mit ihr das Grabe teilen. Sie versteht wenig von der Kunst der Politik und auch die Philosophie ist für sie von fremder Natur, doch was kümmert mich das? Bin ich nicht hier zum Untergehen?

So bin ich denn bereit mein Wesen für den Wahnsinn zu opfern.

Doch ich weiß, die Geschichte wird über mich urteilen, wie sie über den Menschen urteilen muß und das tut mir weh. Aber das ist nur fair, denn offensichtlich, trotz aller Intelligenz, bin ich zum Töten geboren; wie offensichtlich auch der Mensch.

In diesem Sinne,
Tom